„Trauriges Urteil für den Fußball-Sport.“ SC Borsigwalde vermisst klare Kante des Berliner Fußball-Verbandes in Sachen Rassismus
10. März. Am Ende sprach der Vorsitzende Richter des Verbandsgerichtes des Berliner Fußball-Verbandes (BFV) von einem „traurigen Urteil für den Fußball-Sport“. Seine Miene wirkte dabei wirklich traurig. Nur: Er, Ulrich Brüggemann (Viktoria 89), nebst Grit Köthe (Union) und Sebastian Thiel (TeBe), haben es am heutigen Dienstag selbst gesprochen.
Wochenlang hat der SC Borsigwalde geschwiegen – um nicht in den Verdacht zu geraten, jemanden beeinflussen zu wollen. Längst hat sich vieles herumgesprochen. Selbst Bundestagsabgeordnete aus dem Sportausschuss wollten wissen, was da läuft. Nun sind die Urteile gesprochen – und ein weiterer Beweis für die Selbsterkenntnis des DFB erbracht. Der hatte zuletzt eingeräumt, die Ergebnisse im Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus seien „ernüchternd“, Trainer, Schiedsrichter und Sportrichter seien „überfordert“. Nimmt man unseren Fall, wirkt diese Erkenntnis im Fall des Berliner Fußball-Verbandes eher wie eine Verharmlosung. Nie im Leben habe er mit so einem Urteil gerechnet, sagte danach auch der Integrationsbeauftragte des BFV, Mehmet Matur, der heute selbst anwesend war in den Verhandlungsräumen des BFV.
Der Reihe nach. Am 14. Dezember war es auf unserem Sportplatz beim Spiel der 1.A-Jugend (Verbandsliga) gegen den Köpenicker FC zu unschönen Vorfällen gekommen. Ein farbiger Spieler des SC Borsigwalde und Zeugen sagten, er sei von seinem Gegenspieler mit „Neger“, „Bimbo“ und „schwarze Sau“ beleidigt worden. Nach dem Spiel wollte er seinen mutmaßlichen Peiniger zur Rede stellen. Es kam zur Rudelbildung, zu Gewalthandlungen von beiden Seiten. Festgehalten durch zwei Videos, Vor der ersten Instanz, dem Sportgericht des BFV, gab es harte Urteile – gegen fünf Borsigwalder Spieler und einen Funktionär (dazu später mehr). Diese fielen überwiegend deutlich härter aus als gegen die Köpenicker Spieler. Die Kiezhelden und ihr Anwalt Vincent Aydin entschieden unter der Devise „Gewalt ist nicht die richtige Reaktion auf Rassismus“ gegen die Urteile keine Berufung einzulegen – obwohl wir es schon für fragwürdig halten, wenn das Opfer von Rassismus mit am härtesten bestraft wird. Köpenick legte Berufung ein. Vor dem Verbandsgericht wurde nun einmal mehr deutlich, auch aufgrund zahlreicher Zeugenaussagen, dass es diesen Rassismus in dieser Form gegeben hat. Auch, dass zwei farbige Spieler und ein Biodeutscher, sowie der Co-Trainer des SCB diese Vorfälle mehrfach dem Schiedsrichter gemeldet haben – der dies nicht im Bericht vermerkt hat, obwohl er dazu verpflichtet wäre. Stichwort: Überforderung. In zweiter Instanz kam das Verbandsgericht nun erneut zu der Auffassung: Ja, es gab diesen Rassismus, sogar in sehr deutlicher Form. Nur: Genau zuordnen könne man dies dem in erster Instanz zu sieben Spielen Sperre verurteilten Spieler nicht – das heißt, man schenkt dem rassistisch beleidigten Spieler keinen Glauben. Das Urteil wird aufgehoben.
Es stellen sich einige Fragen: Warum wurde dann nicht zumindest ein Urteil gegen den Verein gesprochen? Der FC Schalke 04 wurde kürzlich nach rassistischen Beleidigungen von nicht identifizierten Zuschauern gegen Herthas Jordan Torunarigha mit einer hohen Geldstrafe belegt. Zu Recht. Predigt der DFB doch, Rassismus müsse härter als alles andere bestraft werden. Was bedeutet das Urteil des BFV? Solange man den Täter nicht identifizieren kann, ist Rassismus jeglicher Art straffrei? Über die Signalwirkung eines solchen Urteils kann man nur spekulieren. Und was ist eigentlich mit dem Opferschutz?
Im Fall des Funktionärs, unseres Jugendleiters und A-Jugendtrainers Matthias Wolf, ging es darum, dass während der Rudelbildung ein bisher nicht namentlich bekannter Zuschauer des Köpenicker FC mit der Handykamera über den Platz lief und sich abfällig über den SC Borsigwalde äußerte. Dieser Zuschauer sagte im weiteren Verlauf auch, für ihn sei „schwarze Sau“ keine Beleidigung. Unser Jugendleiter sagte also zu diesem Zuschauer: „Du musst mal genau hinschauen. Im Unterschied zu Euch gibt es bei uns keine Nazis.“ Dies vor dem Hintergrund der offenen rassistischen Beleidigungen.
Nur nebenbei: 2017 wurde auf dem Sportgelände des Köpenicker FC eine riesiges Plakatwand der AfD errichtet, mit deren Logo und der Aufschrift: „Asylbetrug beenden.“ Das Plakat verschwand erst auf Intervention des FC Internationale beim Bezirksamt Köpenick.
Zurück zum Nazi-Zitat. In erster Instanz wurde unser Jugendleiter für zwei Monate gesperrt: Der Begriff Nazi sei menschenverachtend, „da diese Personengruppe industriell Menschen ermordet hat“. Vorsitzender der Kammer war im januar Rasmus Jessen, ein Schiedsrichter des Nordostdeutschen Fußballverbandes, der häufig Spiele beim SV Babelsberg pfeift. Jenem Verein, der die Aktion „Nazis raus aus den Stadien“ ins Leben gerufen hat. An den Plakaten mit diesem Logo muss Herr Jessen bei seinen Spiel-Leitungen vorbei laufen. Dieser Aktion haben sich längst zahlreiche andere Vereine angeschlossen. Nachdem alle anderen Vorwürfe gegen unseren Jugendleiter aus dem erstinstanzlichen Urteil also nun in zweiter Instanz pulverisiert wurden, blieb Folgendes übrig: Das Verbandsgericht wolle, so Brüggemann, „dass man sich im sportlichen Bereich mit politischen Äußerungen, die nicht allgemein gehalten sind, zurückhalten muss – das gilt insbesondere für Funktionsträger des Vereins“. Deshalb: Zwei Wochen Ämtersperre. Auch hier stellen sich erst einmal Fragen: Ein solches Urteil in einer Zeit, da der Fußball politischer ist denn je zuvor? Ist nur der unpolitische Trainer und Funktionär erwünscht? In einer Zeit, da man sich beim DFB offiziell freut, wenn Fans in Stadien aufstehen gegen Rassisten und rufen: „Nazis raus!“ In einer Zeit, da vom DFB Zivilcourage beim Fußball eingefordert wird, weil er selbst einräumt, die Probleme alleine nicht lösen zu können? Und was ist überhaupt mit der Meinungsfreiheit, einem hohen Gut in unserem Land? Ist so ein Urteil allein mit der vom DFB angeführten „Überforderung“ zu erklären?
Matthias Wolf sagt dazu: „Der BFV hat uns über Präsidiumsmitglieder seit Wochen signalisiert, man sei sensibilisiert für diesen Prozess. Nun hat man es dennoch bei beiden Urteilen verpasst, klare Kante gegen Rassismus zu zeigen. Das ist insofern traurig, da nicht einmal der Köpenicker FC vor dem Verbandsgericht geäußert hat, dass er sich durch diese Aussage diffamiert fühlt. Für viele Mitglieder in unserem Verein, der sportliche Heimat für Spieler aus 35 Nationen ist, zerstört das die Glaubwürdigkeit des BFV in diesem Punkt Rassismus-Bekämpfung einmal mehr. Was sind all die Aktionen des BFV gegen Diskriminierung wirklich wert?“
Der Anwalt der Kiezhelden, Vincent Aydin, kommentierte die Urteile so: „Das Gericht geht richtigerweise nicht mehr davon aus, dass der Jugendleiter meiner Mandantschaft seine Pflicht verletzt hätte, sich beleidigend geäußert und sich unsportlich verhalten hätte. Dennoch ist sehr fraglich, warum das Gericht überhaupt eine – wenn auch sehr kurze – Sperre des Jugendleiters ausgesprochen hat. Im Fall des rassistisch beleidigten Spielers, ist nicht nachvollziehbar, warum das Gericht dem Opfer nicht die größte Aufmerksamkeit hat zukommen lassen. Es bleibt abzuwarten, welche weiteren Schritte der Verband nunmehr in der Angelegenheit unternehmen wird.“
Frank Radunz, Vorsitzender der Borsigwalder Männerabteilung und Leiter des Borsigwalder Fußball-Flüchtlingsprojekts N.i:a.S. sagte dazu: „Alle fordern Zivilcourage in Sachen Rassismus ein und freuen sich über jegliche Aktion zu diesem Thema – der DFB fordert sie sogar ein. Dann zeigt mal einer wie Matthias Wolf Zivilcourage – und wird vom BFV bestraft. Für den ganzen Verein ist dieses Urteil völlig unverständlich. Auch und vor allem, weil Willkommenskultur und der Kampf gegen Fremdenfeindlichkeit Teil der DNA unseres Vereins sind.“
Wie geht es nun weiter? Der SC Borsigwalde sagt ganz deutlich: Unser Vertrauen in den Verband, die wirklich wichtigen gesellschaftlichen Probleme zu bekämpfen, schwindet immer mehr. Wir wollen auch keine Sonntagsreden von BFV-Seite mehr bei unserem in diesem Jahr zum 27. Mal ausgetragenen, alljährlichen „Turnier gegen Ausländerfeindlichkeit“. Das bisher übliche BFV-Logo auf den Shirts zu diesem Turnier wird es in diesem Jahr nicht geben. Wir starten mit sofortiger Wirkung unsere eigene Aktion: „Borsigwalde sagt NEIN zu Rassismus.“ Ein entsprechendes Logo ist bereits entworfen. Es geht auch darum, zu sensibilisieren. Damit es nicht noch weitere traurige Urteile für den Fußball gibt.